Sanktionsexperte: Festsetzung von Öltanker ist Novum

Die Prüfungen des Tankers „Eventin“ unter anderem durch den Zoll dauern an. (Archivbild)
Die Prüfungen des Tankers „Eventin“ unter anderem durch den Zoll dauern an. (Archivbild) Foto: Stefan Sauer/dpa

Sassnitz/Berlin (dpa) – Vorfälle wie die Festsetzung des Öltankers «Eventin» vor Rügen sind nach Aussage des Sanktionsexperten Sascha Lohmann in der Europäischen Union weitgehend neu. «Mit Blick auf Öltransporte hatte man das zumindest im Rahmen der Russland-Sanktionen noch nicht», sagte der Wissenschaftler von der Stiftung Wissenschaft und Politik, der Deutschen Presse-Agentur.

Lohmann hat nach eigener Aussage zwischen 2022 und 2023 das Auswärtige Amt in Sanktionsfragen beraten und forscht seit 15 Jahren zu dem Thema. «Die Russland-Sanktionen sind relativ präzedenzlos mit Blick auf den Umfang, aber auch die Intensität für die Europäische Union.» Die USA hätten mehr Erfahrungen und etwa auch schon Schiffe sogenannter Schattenflotten aufgebracht etwa wegen Sanktionen gegen den Iran oder Nordkorea. Dabei hätten die USA auch schon iranisches Öl beschlagnahmt und verkauft.

Drohen den Crew-Mitgliedern Strafzahlungen?

Für den konkreten Fall der «Eventin» rechnet Lohmann nicht mit einem solchen Vorgehen. Stattdessen könnten möglicherweise Strafzahlungen auf Crew-Mitglieder zukommen und das Schiff wieder freigelassen werden.

Das war etwa vergangenes Jahr bei der «Atlantic Navigator II» der Fall. Der Frachter war wegen technischer Probleme in den Rostocker Hafen eingelaufen unter anderem mit Birkensperrholz aus Russland, das auf der EU-Sanktionsliste stand. Die Rostocker Staatsanwaltschaft übernahm den Fall. Der Kapitän musste 8.000 Euro Geldstrafe an eine Menschenrechtsorganisation zahlen.

Staatsanwaltschaft: Bislang kein Hinweis auf Straftat

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Stralsund liegen nach Zollprüfungen der «Eventin» bislang keine Hinweise auf eine Straftat vor. Das habe der Zoll Freitagmittag telefonisch der Staatsanwaltschaft mitgeteilt und gleichzeitig darüber informiert, dass die Auswertungen weiterliefen, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der Deutschen Presse-Agentur. Ein Sprecher der Generalzolldirektion in Hamburg sagte, man äußere sich nicht im Detail zu Einzelfällen. Die Prüfungen dauerten an.

Ob gegebenenfalls Ordnungswidrigkeiten vorliegen, sei nicht Sache der Staatsanwaltschaft, sagte deren Sprecher. Außerdem könne sich immer noch auch ein Straftatverdacht ergeben.

Der mit fast 100.000 Tonnen Öl beladene Tanker war vor mehr als einer Woche unweit Rügens havariert. Das Schiff trieb stundenlang manövrierunfähig in der Ostsee, wurde von deutschen Einsatzkräften gesichert und vor den Stadthafen von Sassnitz auf Rügen geschleppt. Behörden haben die Weiterfahrt untersagt und technische und zollrechtliche Überprüfungen veranlasst. Der Zoll untersucht, ob es sich um russisches Öl handelt und das Öl-Embargo der EU verletzt wird.

Mit dem Öl-Boykott will die EU nach Moskaus Angriff auf die Ukraine Russlands Einnahmen beschneiden. Eine weitere Maßnahme unter anderem der EU war die Einführung einer Preisobergrenze für russisches Öl. Westliche Versicherer etwa dürfen demnach den Verkauf und Transport russischen Öls in Drittstaaten nur absichern, wenn es nicht oberhalb dieser Preisgrenze gehandelt wird.

Sanktionen lassen Schattenflotte anwachsen

«Auch vor dem Hintergrund anderer Krisen wollte man nicht die Menge des Öls am Weltmarkt reduzieren und damit den Preis in die Höhe treiben», erklärte Lohmann. Gleichzeitig wollte man die Gewinne für Russland möglichst gering halten.

Eine Folge sei das stetige Anwachsen der sogenannten Schattenflotte Russlands, bestehend aus zumeist nicht versicherten Schiffen, die zum Öl-Handel auch jenseits der Preisgrenze genutzt würden. Diese stellten mittlerweile einen Großteil der seegestützten russischen Ölexporte sicher. «Das ist natürlich keine gewünschte Wirkung.»

Experte spricht von «Zeitbomben»

Lohmann sprach von «ökologischen Zeitbomben». Auch wegen der Korrosion tauschten die meisten westlichen Reedereien ihre Tanker etwa nach 15 Jahren aus. Die Schiffe der Schattenflotte sind mitunter deutlich älter. Die «Eventin» etwa, die von der Umweltorganisation Greenpeace auf einer entsprechenden Liste geführt wird, wurde 2006 gebaut.

Ende vergangenen Jahres hatten mehrere europäische Länder angekündigt, verstärkt gegen Russlands Schattenflotte vorgehen zu wollen. Demnach wollten Großbritannien, Dänemark, Schweden, Polen, Finnland und Estland ihre Seebehörden beauftragen, die Versicherungsdokumente verdächtiger Schiffe zu überprüfen, die den Ärmelkanal, die dänischen Meerengen, den Finnischen Meerbusen und den Öresund durchfahren.

Das sei rechtlich möglich, erklärte Lohmann, auch auf hoher See. Und ohne entsprechende Versicherung dürften die Schiffe nicht fahren. Allerdings berge ein solches Vorgehen auch Eskalationspotenzial. Russland könne etwa verstärkt Schiffe mit militärischem Begleitschutz ausstatten. «Da hatte man ja schon einen Fall Anfang Dezember.»

Damals war es zu einem Zwischenfall zwischen einem Hubschrauber der Bundeswehr und einem russischen Schiff gekommen. Die Besatzung des Tankers hatte mit Signalmunition geschossen. Das Schiff soll in Begleitung eines russischen Kriegsschiffes unterwegs gewesen sein. Insofern könne eine verstärkte Kontrolle von Schiffen auch zu Gegenreaktionen führen, sagte Lohmann.