
Kiel (dpa/lno) – Nach der Bundestagswahl richten die großen Parteien in Schleswig-Holstein ihren Fokus auf die künftige Bundesregierung. Schleswig-Holsteins CDU-Landeschef Daniel Günther setzt auf eine schnelle Regierungsbildung in Berlin. «Wir haben jetzt monatelang als größtes Land in der Europäischen Union keine handlungsfähige Regierung», sagte Günther am Abend nach einer CDU-Landesvorstandssitzung. Doch es gebe in der SPD wie in der Union eine ganze Reihe vernünftiger Menschen.
Aus Sicht der stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden Serpil Midyatli ist eine Koalition von CDU und SPD allerdings kein Selbstläufer. «Es gibt keinen Automatismus für Koalitionsverhandlungen», sagte sie nach einer Sitzung des SPD-Landesvorstands am Abend.
Günther erinnerte an ungelöste Probleme: «Viele der Herausforderungen hier im Norden hat die Ampel in den vergangenen Jahren entweder blockiert oder vergessen.» Der Ausbau der Autobahn 21 und der Weiterbau der A20 beispielsweise seien dringend notwendig. «Auch für unsere Häfen und den Ausbau der Marschbahn brauchen wir endlich eine zukunftsorientierte Planung.»
Die CDU hatte die Wahl im Norden mit 27,6 Prozent (2021: 22,0 Prozent) klar gewonnen. Günther sagte, er habe sich einen Tick mehr erhofft. Besorgt äußerte sich der Regierungschef über die 16,3 Prozent im Norden für die AfD. Es sei nicht nur die Aufgabe der Union, die Partei wieder kleinzubekommen.
Minister-Spekulationen
Mit Bildungsministerin Karin Prien (CDU) und Schleswig-Holsteins CDU-Spitzenkandidat Johann Wadephul, der für das Verteidigungsministerium in Frage kommen könnte, gibt es gleich zwei mögliche Kabinettskandidaten im Land. Wadephul habe sich mit seiner klaren Position zu den relevanten sicherheitspolitischen Fragen in Berlin einen Namen gemacht, sagte Günther.
Wadephul betonte, um Personalfragen werde es erst am Ende von Koalitionsverhandlungen gehen. «Es muss möglich sein, eine stabile Regierung schnell aufzustellen.»
Beide CDU-Politiker stören sich an den Auswirkungen des neuen Wahlsystems. So hatte CDU-Kandidatin Petra Nicolaisen den Wahlkreis Flensburg-Schleswig zwar gegen Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck gewonnen, war aber wegen des neuen Wahlrechts dennoch nicht in den Bundestag eingezogen, weil letztlich die Zahl der Zweitstimmen entscheidend war. Wadephul sprach von einem demokratischen Skandal.
SPD pocht auf Soziales
Die SPD erlitt in Schleswig-Holstein mit 18,8 Prozent nach 28,0 vor vier Jahren herbe Verluste. Midyatli sagte, Gespräche über eine mögliche Koalition mit der Union müssten auf einer inhaltlich guten Basis gelingen. «Das sehe ich bei der Merz-CDU ehrlich gesagt noch nicht, ganz im Gegenteil.»
Mit der SPD werde nicht der Sozialstaat rasiert werden können, sagte Midyatli. «Mit uns wird es nicht dazu kommen können, dass die Reichen immer reicher werden und dass die hart arbeitenden Menschen nicht entlastet werden.» Das seien für sie zwei sehr wichtige Punkte, so die SPD-Landesvorsitzende.
Die derzeit nicht im Landtag in Kiel vertretene AfD kam auf 16,3 Prozent (6,8). Die Grünen erhielten 14,9 Prozent (18,3), die ebenfalls nicht im Landtag vertretene Linke 7,8 Prozent (3,6) und die FDP 4,7 Prozent (12,5). Der von der Fünf-Prozent-Hürde befreite SSW, die Partei der dänischen und friesischen Minderheit, kam auf 4,0 Prozent (3,2) und das BSW auf 3,4 Prozent.
Auch die Liberalen wollten am Abend bei einem kleinen Parteitag in Neumünster beraten. «Das Ergebnis ist die befürchtete Katastrophe für unsere Partei», sagte der Landesvorsitzende Christopher Vogt. «Nach der Ampel hatten wir in diesem Wahlkampf eine sehr schwierige Ausgangslage. Leider konnten wir die Stimmung im Wahlkampf nicht mehr drehen.» Nun gehe es um das Überleben als einzige liberale Partei in Deutschland.
Weniger Abgeordnete aus dem Norden
Insgesamt 25 Abgeordnete aus dem nördlichsten Bundesland ziehen in den Bundestag ein, drei weniger als 2021. Die CDU stellt acht Sitze, AfD und SPD fünf, die Grünen vier und die Linken haben zwei Sitze, wie die Bundeswahlleitung im Internet mitteilte. Ebenfalls erhält der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) einen Sitz.
Die Union lag in neun der elf Wahlkreise vorn. Kiel ging an die Grünen, Lübeck an die SPD. Wegen der Wahlrechtsreform, die nun zum ersten Mal greift, ziehen aber nicht mehr alle siegreichen Wahlkreis-Kandidaten automatisch in den Bundestag ein: Sie bekommen nur noch dann ein Mandat, wenn ihre Partei auf genügend Zweitstimmen kommt. Dafür entfallen die früher üblichen Überhang- und Ausgleichsmandate. Künftig hat der Bundestag nur noch 630 Abgeordnete statt aktuell 733.