Hamburg (dpa/lno) – Nach der Solinger Messerattacke mit drei Toten hat die Hamburgische Bürgerschaft in einer teils hitzigen Debatte um den Umgang mit der Tat des mutmaßlichen Islamisten gerungen. Alle Abgeordneten waren sich einig, dass die Tat hart bestraft werden und Folgen haben müsse. Wie die Konsequenzen aussehen sollen, darüber herrscht im Parlament jedoch Uneinigkeit. Der zuständige Innensenator Andy Grote (SPD) nahm an der Sitzung nicht teil.
AfD: «Bürger sind Schutzsuchende im eigenen Land geworden»
Die AfD, die das Thema zur Aktuellen Stunde angemeldet hatte, nutzte die Bühne, um ihre grundsätzliche Ablehnung von Migration zu unterstreichen. Mit Blick auf die Taten in Solingen und anderen Orten sagte AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann, der Tod sei inzwischen ein ständiger Begleiter geworden – und fügte an: «Wir Bürger sind mittlerweile zu Schutzsuchenden im eigenen Land geworden.» Nockemann warf den Regierenden Staatsversagen und der CDU vor, auf einen fahrenden Zug aufspringen zu wollen. Dabei seien es die Christdemokraten gewesen, die 2015 als «Klatschhasen» die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abgesegnet hätten.
Eine scharfe Gegenrede kam von der Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg: «Björn Höcke ist ein Nazi und die AfD eine gesichert rechtsextreme Partei in Thüringen und Sachsen und zu eben jenen fordert Herr Nockemann ein Ende der Brandmauer.» Das dürfe nicht vergessen werden. Natürlich müsse eine Tat wie die in Solingen aufs Schärfste geahndet und Islamismus verurteilt werden, sagte Jasberg. Aber: «Angesichts der Erfahrungen, dass das Abwerten von Schutzsuchenden konkrete Gewalt nach sich zieht, ist es verantwortungslos, wie manche eine schreckliche Tat nun dafür nutzen, Stimmung zu machen und offen gegen geltende Gesetze unseres Rechtsstaats und der Europäischen Union zu poltern.»
Jasberg: Nicht von populistischen Debatten treiben lassen
Auch sie habe Angst vor einem zunehmenden Islamismus, aber genauso groß sei ihre Angst, dass dieser nicht effektiv bekämpft werden könne, «wenn wir uns von dieser Art populistischer Debatte treiben lassen». Zudem betonte Jasberg: «Jeder, der jetzt das Asylrecht infrage stellt und Menschen an Grenzen abweisen will, möge erklären, wie er dies ohne Gewalt machen möchte.»
Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen seien ein wichtiger Teil der vielfältigen Stadtgesellschaft, betonte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. «Klar ist aber: Wir stehen auch für eine konsequente Rückführung von Personen ohne Bleiberecht, insbesondere Straftätern, und die Bekämpfung des Islamismus.» Dazu sei bundes- und EU-weit eine bessere Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und eine weitere Stärkung der inneren Sicherheit nötig.
Thering: «Wir brauchen jetzt keine weiteren Stuhlkreise»
Der CDU-Fraktionsvorsitzende und Oppositionsführer Dennis Thering warf der AfD vor, die Tat von Solingen für ihren Wahlkampf zu missbrauchen. «Das widert mich an, das ist einfach nur erbärmlich.» Gleichzeitig forderte er eine Wende in der Migrationspolitik. Das bedeute unter anderem mehr Grenzkontrollen, Zurückweisungen an den Außengrenzen, Asylverfahren außerhalb Europas und großflächige Abschiebungen auch nach Afghanistan und nach Syrien. «Wir brauchen jetzt keine weiteren Stuhlkreise und Arbeitsgruppen», sagte Thering. Dänemark und Schweden hätten vorgemacht, dass eine Wende möglich sei.
Für die Linken-Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir sind Rechtsextreme und Islamisten Brüder im Geiste, sie gingen Hand in Hand. «Der Neonazi hier in Deutschland wäre wahrscheinlich der Islamist in Syrien.» Beide seien frauen- und queerfeindlich und rückwärtsgewandt. «Sie sind antisemitisch und sie sehen sich immer in der Opferrolle.» Sie wollten darüber bestimmen, wer leben dürfe und wer getötet werde, sagte Özemir mit Blick auf den NSU in Deutschland und den Islamischen Staat in Syrien. Die Tat von Solingen müsse Folgen haben. Die Antwort könne aber nicht Massenabschiebungen heißen. «Wer den Islamismus wirklich bekämpfen will, muss in Prävention investieren, muss radikal-islamistische Organisationen wie „Muslim Interaktiv“ verbieten und außenpolitisch aufhören, Diktaturen wie die Türkei und Saudi-Arabien mit Waffen zu versorgen.»