
Hamburg (dpa/lno) – Hunderte Menschen haben auf dem jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf Abschied von Peggy Parnass genommen. Die Autorin, Schauspielerin und NS-Zeitzeugin war am 12. März im Alter von 97 Jahren in Hamburg gestorben. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) würdigte Parnass als außergewöhnliche Bürgerin der Hansestadt. Sie sei ihr Leben lang entschieden gegen Rechtsextremismus und Diskriminierung eingetreten. Als Reporterin und Autorin habe sie zur Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen beigetragen. Tschentscher sprach vor rund 500 Trauergästen, die sich in und vor der Trauerhalle versammelt hatten.
Zahlreiche Ehrungen
Parnass hatte als Publizistin und engagierte Bürgerrechtlerin zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Joseph-Drexel-Preis für hervorragende Leistungen im Journalismus, die Biermann-Ratjen-Medaille der Stadt Hamburg und das Bundesverdienstkreuz erhalten. 2021 war sie vom deutschen PEN-Zentrum zum Ehrenmitglied ernannt worden.
Auch der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Hamburg, Shlomo Bistritzky, sowie die Leiterin des Ernst-Deutsch-Theaters, Isabella Vértes-Schütter, die Schauspielerin Sylvia Wempner und der Maler Ulrich Rölfing würdigten die Verstorbene. Unter den Trauergästen waren Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD), die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) und Polizeipräsident Falk Schnabel.
Eltern von Parnass in Treblinka ermordet
Parnass hatte sich vor allem mit ihren Gerichtsreportagen einen Namen gemacht, die zwischen 1970 und 1978 in der Zeitschrift «Konkret» erschienen. Ihr Vater, ein Jude polnischer Herkunft, und ihre Mutter wurden von den Nationalsozialisten im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Sie selbst war 1939 als Kind mit ihrem vierjährigen Bruder mit einem Kindertransport nach Stockholm gebracht, wo sie in verschiedenen Pflegefamilien lebte. Nach einem Studium in Stockholm, London und Paris kehrte sie in ihre Geburtsstadt zurück.
«Queen von St. Georg»
Ihr Buch «Prozesse 1970-1978», eine Sammlung ihrer Gerichtsreportagen, fand große Beachtung, ebenso ihr Buch «Unter die Haut» (1983) und ihre autobiografisch durchsetzte Anthologie «Süchtig nach Leben» (1990). Daneben engagierte sie sich politisch gegen staatliche Willkür oder Heuchelei jeder Art und für die Schwachen in der Gesellschaft. Noch mit über 90 Jahren habe sie im Rollstuhl an einer Parade zum Christopher-Street-Day teilgenommen, und zwar in der ersten Reihe. In ihrem bunten Stadtteil, in dem sie jahrzehntelang wohnte, habe man sie die «Queen von St. Georg» genannt.
Theater-Intendantin Vértes-Schütter bekannte, sie habe Parnass «als ganz große Liebe wahrgenommen». An die Verstorbene gerichtet sagte sie: «Du hast uns alle reich beschenkt.» Rabbiner Bistritzky brachte die Zuhörer mit einer Erinnerung zum Schmunzeln: «Peggy, jede Begegnung mit dir war ganz besonders, ich denke immer daran, dass du mich umarmen wolltest und ich sagte, dass ich das wegen meiner Frau nicht kann.»
Zeitzeugin für drei Epochen jüdischen Lebens in Hamburg
Die letzten 100 Jahre der jüdischen Geschichte Hamburg ließen sich in drei Abschnitte einteilen, erklärte der Rabbiner: die Zeit vor der Shoa, in der das jüdische Leben mit der Bornplatzsynagoge im Grindelviertel blühte, die Shoa, in der Tausende Juden vertrieben, verfolgt und ermordet wurden, sowie den Wiederaufbau nach dem Krieg. «Tausende erleben heute die neue Zeit, aber nur eine Person hat alle drei Zeiten erlebt: Peggy.»
Im Anschluss an die Trauerfeier folgten die Teilnehmer in einem langen Zug den Sargträgern zur Grabstelle. Bistritzky sprach ein Gebet, viele Menschen warfen Blumen und Erde auf den Sarg. Ein Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes sang währenddessen Lieder zur Mandoline, begleitet von einer Geigerin. Der 1883 gegründete jüdische Friedhof ist nach Angaben der Gemeinde der einzige in Hamburg, auf dem noch nach jüdischem Ritus bestattet wird.