
Hamburg (dpa) – Ob Meerschweinchen King-Kong, Abenteuer in Sommerby oder eine schreckliche Nacht in der Nazizeit – die Hamburger Kinder- und Jugendbuchautorin Kirsten Boie hat schon viele verschiedene Welten geschaffen. Seit 40 Jahren schreibt sie Bücher, die Kinder nicht nur unterhalten, sondern ihnen auch Mut machen und zum Nachdenken anregen. «Es macht mir immer noch Spaß! Ist das nicht wunderbar?», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg. Am Mittwoch (19.3.) wird die Hamburger Ehrenbürgerin, Autorin und Lehrerin 75 Jahre alt.
Boie vermittelt seit jeher Toleranz und Gerechtigkeit
Die Idee einer demokratischen, toleranten und gerechten Gesellschaft ist ihr immer wichtig gewesen – egal, ob es sich dabei um Literatur für Kinder oder für Jugendliche handelte. «Ich würde sagen, dass diese Themen in allen meinen Büchern zu finden sind, auch in den „Möwenweg“-Geschichten oder in „Sommerby“. Nicht so explizit, aber auch kleine Geschichten von einem Streit zwischen Kindern können von Toleranz und Gerechtigkeit erzählen.» Auch das Kinderbuch «Der Hoffnungsvogel» könne schon kleinen Kindern die Idee von einer toleranten und gerechten Gesellschaft vermitteln. «Das hoffe ich zumindest!»
Ergebnis der Bundestageswahl macht Boie Sorgen
Denn der Blick auf die Ergebnisse der Bundestagswahl mit starken Ergebnissen für die AfD mache ihr durchaus Sorgen. «Ich hoffe sehr, dass die nächste Wahl wieder ein erfreulicheres Ergebnis haben wird. Dafür müssen die demokratischen Kräfte im Land zusammenarbeiten, um die zweitstärkste Partei im Bundestag zu entzaubern. Ich glaube daran, dass das möglich ist.»
Daran könnten auch junge Leute einen großen Anteil haben: «Ich hoffe sehr, dass gerade die jungen Leute beim nächsten Mal aufgrund ihrer Erfahrung in diesen vier Jahren anders abstimmen werden.»
Lesen als Grundlage für eine tolerante Gesellschaft
Damit die Gesellschaft eher den Kurs in der Mitte halten kann und nicht nach rechts abdrifte, dürfe die Schere zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft nicht noch weiter auseinandergehen, findet Boie. Dafür müsse auch dringend mehr in Bildung investiert werden. «Und die Grundlage für jede Art von Bildung ist die Lesefähigkeit. Ich werde nicht müde zu sagen: „Jedes Kind muss lesen lernen!“»
Und auch dafür schreibt Boie ihre Bücher. Zum Schreiben war die studierte Literaturwissenschaftlerin und Anglistin gekommen, um auch als Mutter Geld verdienen zu können. In den 70ern und 80ern war sie noch Lehrerin an einem Gymnasium und einer Gesamtschule. Doch für ihre beiden Adoptivkinder gab sie diesen Beruf auf – obwohl sie ihn sehr gern ausgeübt hatte. Das erste Buch war dann auch ein Kinderbuch über ein schwarzes adoptiertes Kind von weißen Eltern – «Paule ist ein Glücksgriff».
Vom Meerschwein bis zum Zweiten Weltkrieg
Das Debüt wurde auch für Boie zum Glücksgriff. Es folgten mehr als hundert weitere Bücher, viele davon preisgekrönt. Sie ließ sie Kinder vom «Möwenweg» ebenso Abenteuer erleben, wie den «Kleinen Ritter Trenk», das Seeräubermädchen Moses, das Meerschweinchen King-Kong und den kleinen Detektiv Thabo. Sie blickte in den Alltag von Kindern wie Lena, Juli und Linnea und holte mit «Skogland», «Dunkelnacht» und «Heul doch nicht, du lebst ja noch» auch die Schrecken und Folgen von Diktaturen und Extremismus in ihre Bücher.
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher würdigte Kirsten Boie als herausragende Schriftstellerin, aufrechte Bürgerin, Demokratin und Anwältin für die Interessen von Kindern und Jugendlichen. «Ihre Geschichten begeistern, bewegen, machen Mut und regen zum Nachdenken an», sagte er kurz vor dem 75. Geburtstag der Kinder- und Jugendbuchautorin.
Auch nach vier Jahrzehnten schreibt Kirsten Boie noch immer mit Leichtigkeit, wie sie sagt. «Wenn ich erstmal in einer Geschichte stecke, dann kann ich daran – oft ja auch mit Vergnügen! – schreiben, bis sie zu Ende ist.» Hat sie ein Lieblingsbuch aus ihrem Werk? Darauf hat sie eine klare Antwort: «Alle! Ich habe ja jedes Buch nur geschrieben, weil ich das Thema spannend fand – und selbst gerade Lust dazu hatte!»
Keine Angst vor schwierigen Themen
Die Hamburgerin hat sich dabei oft an schwierige gesellschaftliche Themen wie Obdachlosigkeit, Rechtsextremismus, die Schere zwischen Arm und Reich, Mobbing und Flüchtlingskinder gewagt. Kinder können das ertragen, wenn es altersgemäß erzählt wird, hatte sie schon zu ihrem 70. Geburtstag gesagt.
Das empfiehlt sie auch Eltern, die ihren Kindern mit Blick auf die derzeitigen Krisen und Kriege Sicherheit schenken wollen: «Wir müssen viel miteinander sprechen, zuhören und verlässlich und liebevoll für die Kinder da sein. Das ändert die Welt zumindest im ganz Kleinen, schenkt den Kindern Geborgenheit und ermutigt sie vielleicht, die Welt auch im Großen zu verändern.»
Kirsten Boie feiert Geburtstag «unspektakulär»
Ihren Geburtstag selbst werde sie in kleiner Runde «eher unspektakulär» feiern. Gleichzeitig feiert die Stadt Hamburg ihre Ehrenbürgerin mit zahlreichen Aktionen in der ganzen Stadt. Lesungen, Bilderbuchkinos, Theaterstücke, eine Rallye und eine Ausstellung – mehr als 40 Veranstaltungen sind geplant.
Zum Geburtstag wünscht sie sich, dass sie noch viele schöne Jahre erleben darf. Ein anderes großes Präsent macht sie sich im Grunde aber schon seit Jahren selbst: «Ich freue mich einfach, dass kleine wie große Leser schon so lange mit mir unterwegs sind und meine Bücher ihnen etwas bedeuten. Das ist eines der größten Geschenke überhaupt.»