Helgoland/Langeoog (dpa) – Seit dem tödlichen Zusammenstoß zweier Schiffe vor rund zehn Monaten in der Deutschen Bucht lag der Frachter «Verity» auf dem Meeresgrund. Nun ist er geborgen. Einer der stärksten Schwimmkräne Europas hob das letzte große Wrackteil mit tonnenschweren Ketten aus dem Wasser und legte die Bugsektion, also das vordere Schiffsteil, auf einer Plattform ab, wie eine Sprecherin der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt mitteilte. Die drei noch vermissten Besatzungsmitglieder wurden nicht darin gefunden.
Die Behörden gehen davon aus, dass die Männer bei dem Unglück ums Leben kamen – wie zwei weitere Seeleute, deren Leichen bereits geborgen wurden. Im Gedenken an die Toten und Vermissten hielt Diakon Martin Struwe von der Seemannsmission eine Andacht auf einem Schiff nahe dem Unfallort. Die Anwesenden auf dem Schiff schwiegen eine Minute. Der Diakon sprach auch von den Gefahren, denen Seeleute ausgesetzt sind: Wind und Wetter, Unglücke, Piraterie, Krisen und Konflikte.
Durch Loch in der Bordwand drang Wasser ein
Bei der Bergung war zunächst das Heckteil des unter Wasser zweigeteilten Schiffes vom Meeresgrund gehoben worden. Die Havariestelle ist deutlich zu erkennen. Sie ist rund, hat einen Radius von geschätzt vier Metern und zeigt, wo das Küstenmotorschiff «Verity» gerammt wurde. Das Loch in der Bordwand ist sichtbar. «Was man beim Herumfahren um das Wrack auch sehr schön erkennen konnte, war, dass man auch von innen wieder nach draußen schauen konnte», sagte die Ermittlerin der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung, Lea Beyling, die den Unglücksort von einem anderen Schiff aus besichtigte. Das Wasser konnte ihr zufolge schnell in den Laderaum eindringen und führte zum Sinken des Schiffes.
Für die Bergung waren rund 70 Arbeiter Tag und Nacht vor Ort, darunter Taucher. Da diese nur während der Übergangszeit zwischen Ebbe und Flut unter Wasser arbeiten können, waren die Zeitfenster für die Bergung begrenzt. «Die größte Herausforderung ist das Wetter auf der Nordsee, weil es unvorhersehbar ist», sagte einer der Leiter der Bergung, Marc Antony Rooijakkers, auf einem Schiff nahe der Unfallstelle.
Die Arbeiten für das Heben des vorderen Schiffsteils begannen am späten Dienstagabend. Schließlich zog der Kran, der nach Angaben der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt bis zu 2.200 Tonnen heben kann, das Wrackteil aus dem Wasser. Das gesamte Wrack soll nun in die Niederlande gebracht und fachgerecht entsorgt werden.
Ermittlungen zur Unfallursache dauern an
Die Ursache für den dramatischen Zusammenstoß zweier Frachtschiffe ist noch unklar. Gemeinsam mit einer britischen Behörde und einer Behörde auf den Bahamas untersucht die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung das Unglück, wie Ermittlerin Beyling berichtete. Wann genau der Bericht veröffentlicht wird, ist noch unklar.
Klar ist aber, dass das Küstenmotorschiff «Verity» und der Frachter «Polesie» am frühen Morgen des 24. Oktober 2023 in der Deutschen Bucht zusammenstießen. Die «Verity» mit sieben Seeleuten an Bord und einer Ladung von 187 Stahlbandrollen sank. Schnell waren Schiffe und ein Hubschrauber der Deutschen Marine im Einsatz und suchten nach den Schiffbrüchigen. Wind, Wellen und Kälte erschwerten den Einsatz. Zwei Menschen wurden aus dem Wasser gerettet, fünf Seeleute kamen nach Einschätzung der Behörden ums Leben. Drei von ihnen werden weiter vermisst, ihre Leichen wurden nicht gefunden.
Die «Polesie» mit 22 Menschen an Bord war nach dem Unfall weiter schwimmfähig. Mit einer Länge von 190 Metern ist sie deutlich größer als die «Verity». Das Schiff war unter der Flagge der Bahamas auf dem Weg von Hamburg nach La Coruña in Spanien. Das Küstenmotorschiff «Verity» der britisch-niederländischen Reederei Faversham Ships wollte von Bremen nach Immingham, einem Hafen an der englischen Nordseeküste.
Eines der meistbefahrenen Seegebiete weltweit
Das Wrack der «Verity» lag nach dem Unfall auf dem Meeresboden, in knapp 40 Metern Tiefe. Der Unfallort liegt rund 22 Kilometer südwestlich der Hochseeinsel Helgoland und 31 Kilometer nordöstlich der ostfriesischen Insel Langeoog – die Gegend ist eine der meistbefahrenen Seegebiete weltweit. Das Wrack war ein Hindernis für die Schifffahrt, daher sollte es geborgen werden. Die Arbeiten am Wrack dauerten Monate, Spezialunternehmen waren nötig. Gefahrstoffe wurden abgepumpt, die Ladung des Frachters geborgen. Dann begannen die Vorbereitungen, um das Wrack aus dem Wasser zu holen.
Die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt schätzt die gesamten Bergungskosten auf rund 12,5 Millionen Euro. Den größten Teil davon wird der Bund zahlen. Versicherungen werden demnach etwa 2,3 Millionen Euro übernehmen.