
Hamburg (dpa/lno) – Mit einem neuen Gedenkstein in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme soll künftig an Gefangene aus 70 Herkunftsländern erinnert werden. Die kreisförmige Platte mit einem Durchmesser von drei Metern wurde aus einem Betonwerk in der Nähe von Bielefeld (NRW) angeliefert. Sie soll am 4. Mai zum 80. Jahrestag des Kriegsendes feierlich eingeweiht werden.
Das ukrainische Generalkonsulat in Hamburg hatte in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert, dass das Internationale Mahnmal an der Gedenkstätte eine Platte mit dem russischen Kürzel für Sowjetunion («CCCP»), aber keinen Stein für die seit 1991 unabhängige Ukraine hat. Auf dem neuen Stein wird die Ukraine erwähnt. Das alte Mahnmal bleibt aber neben der neuen Platte weiter bestehen.
Ukraine, Surinam und 68 weitere Herkunftsländer
Die neue Platte wurde am Eingang zu der Gedenkanlage aus dem Jahr 1965 aufgestellt. Auf ihr werden in einer Spirale die Namen von 70 heute bestehenden Staaten genannt. Die Länder ergaben sich nach Angaben der Gedenkstätten-Stiftung durch eine neue Auswertung zu den Geburtsorten von rund 23.000 Gefangenen.
Als Beispiel nannte eine Mitarbeiterin der Stiftung eine Gefangene aus der südukrainischen Stadt Mykolajiw sowie einen niederländischen Häftling, der in der damaligen südamerikanischen Kolonie Surinam geboren wurde. Die Ländernamen sind alphabetisch angeordnet. In der Spirale stehen auch Länder wie Kuba, Gabun oder Vanuatu in gleicher Größe.
Bislang auch keine baltischen Staaten genannt
Bislang gab es 22 Gedenksteine, auf denen 26 Nationen aufgeführt werden. Sie sollten eigentlich der politischen Landkarte vor dem Zweiten Weltkrieg entsprechen. Allerdings haben «Esten», «Finnen», «Letten» und «Litauer» nur einen gemeinsamen Stein, aus dem ihre bereits vor dem Krieg bestehende Eigenstaatlichkeit nicht hervorgeht. «Die Erweiterung des Ensembles im Jahr 2025 trägt der veränderten Staatenbildung nach 1989/90 Rechnung und macht Opfergruppen, die durch die Anlage von 1965 nicht repräsentiert sind, sichtbar», erklärte die Stiftung.
Ukrainer größte Häftlingsgruppe
Als Rednerin auf der Feier zur Einweihung der Gedenkplatte wird auch die ukrainische Generalkonsulin in Hamburg, Iryna Tybinka, erwartet. Die Diplomatin hatte vor einem Jahr beklagt, dass die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung kein Verständnis für das tiefe Trauma habe, das der Ukraine im Zweiten Weltkrieg zugefügt wurde. Nach ihren Angaben wurden mehr als acht Millionen Ukrainer getötet, 2,5 Millionen mussten Zwangsarbeit leisten. Die Ukrainer hätten die größte Häftlingsgruppe in Neuengamme gebildet. Eine Sprecherin der Gedenkstätte bestätigte, dass die aus dem Gebiet der heutigen Ukraine verschleppten Menschen zu den zahlenmäßig größten Häftlingsgruppen mit mehreren Tausend Häftlingen gehörten.
Ursprünglich Stein mit Aufschrift «Ukraine» gefordert
Das Generalkonsulat wollte darum, dass dem bisherigen Mahnmal ein weiterer Stein mit der Aufschrift «Ukraine» hinzufügt wird. Die Auswahlkommission habe aber anders entschieden, sagte Tybinka nun. Die unerwartet lange Liste beteiligter Nationen auf der neuen Platte setze dem Schmerz vieler Nationen ein Denkmal zum 80. Jahrestag der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus. «Wir freuen uns, dass die Ukraine mit ihrem Einsatz für den Wandel indirekt die Interessen vieler Dutzend Länder vertreten hat», sagte sie.
Auch wenn die Gestaltung nicht den ursprünglichen Vorstellungen des Generalkonsulats entspreche, so unterstreiche sie doch in hervorragender Weise das Ausmaß des Krieges. «(Es) erinnert uns alle einmal mehr daran, dass unbestrafte Kriegsverbrechen auch Menschen in den entlegensten Winkeln der Welt treffen können», sagte die Generalkonsulin.
Langwierige Diskussion um Gestaltung
Bei der langwierigen und komplex geführten Diskussion um das neue Ländergedenkzeichen habe die mögliche Hierarchisierung von Ländernamen eine sehr große Rolle gespielt, sagte die Sprecherin der Gedenkstätten-Stiftung Iris Groschek. Die jetzige Form sei das Ergebnis einer Abstimmung des internationalen Verbandes der nationalen ehemaligen Häftlingsverbände (AIN) und der Fachkommission der Stiftung. «Alle Ländernamen sind in gleicher Größe genannt, da es bei der Erinnerung um jedes einzelne Menschenleben geht», sagte Groschek.