No-Go-Area „Jungfernstieg“ und die Politik schaut weg

Junge Migranten am Jungfernstieg / FOTO: dpa

Der Hamburger Jungfernstieg war einst ein Aushängeschild für Wohlstand und Eleganz, doch heute wird er zunehmend als Sinnbild für die Versäumnisse der deutschen Migrationspolitik gesehen. Die öffentliche Diskussion über die Probleme, die sich in der Innenstadt zeigen, wird oft von politischen Tabus und mangelnder Ehrlichkeit in Politik und Medien begleitet. Das bekannte „Prinzip der drei Affen“ – nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – scheint in dieser Debatte häufig die Realität zu prägen. Doch Wegsehen hat selten zu nachhaltigen Lösungen geführt.

Ein Treffpunkt für junge Flüchtlinge

Seit der Flüchtlingskrise 2015 hat sich der Jungfernstieg in den Abendstunden zu einem beliebten Treffpunkt vor allem für junge Flüchtlinge entwickelt. Zu Beginn waren es die kostenfreien WLAN-Angebote der umliegenden Geschäfte und der attraktive Standort an der Binnenalster, die viele anlockten. Doch was als harmloser sozialer Austausch begann, hat sich in den Augen vieler Hamburger zu einem Problem entwickelt.

Hier prallen unterschiedliche Lebenswelten aufeinander: Während Touristen und alteingesessene Hamburger den Jungfernstieg als Ort des Konsums und der Erholung sehen, nutzen viele Migranten den Ort als Zufluchtsort, um der Enge und Perspektivlosigkeit ihrer Wohnunterkünfte zu entkommen. Diese Entwicklung zeigt die sozialen Spannungen auf, die sich durch die steigende Diversität und die Migration in den letzten Jahren verstärkt haben. In Hamburg haben inzwischen mehr als die Hälfte der Jugendlichen einen Migrationshintergrund – ein Fakt, der die Realität des demografischen Wandels widerspiegelt.

Steigende Kriminalität und Verdrängung

Die Situation am Jungfernstieg wird von vielen als unhaltbar empfunden, nicht nur wegen der erhöhten Präsenz junger Menschen, sondern auch aufgrund eines spürbaren Anstiegs der Kriminalität. Polizeiberichte dokumentieren eine Zunahme von Straftaten wie Beleidigungen, Körperverletzungen und Drogenkonsum. Diese Vorfälle tragen maßgeblich dazu bei, dass der Jungfernstieg für einige zu einer „No-Go-Area“ geworden ist.

Die strukturellen Probleme reichen jedoch tiefer: Die zunehmende Verdrängung von traditionellen Geschäften und die veränderte soziale Zusammensetzung des Publikums haben das Gesicht des Jungfernstiegs verändert. Die bloße Erhöhung der Polizeipräsenz und die Installation von Videoüberwachungssystemen mögen kurzfristig eine gewisse Kontrolle versprechen, doch sie lösen die tiefer liegenden sozialen Probleme nicht. Die Entwicklungen am Jungfernstieg legen offen, dass Deutschlands Migrationspolitik, so gut gemeint sie auch sein mag, zunehmend an ihre Grenzen stößt.

Die Herausforderung unbegleiteter Minderjähriger

Ein zentrales Thema in dieser Diskussion ist der stark gestiegene Zustrom von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Im Jahr 2022 hat sich die Zahl dieser Jugendlichen mehr als verdoppelt, was viele Kommunen vor immense Herausforderungen stellt. Obwohl es offensichtlich ist, dass die Betreuung und Integration dieser jungen Menschen hohe Anforderungen an die sozialen Systeme stellt, bleibt die Bundesregierung bei ihrer Position, dass unbegleitete Minderjährige von den Asylverschärfungen innerhalb Europas ausgenommen bleiben müssen.

Diese Jugendlichen sind keine grundsätzlich anderen Menschen als ihre deutschen Altersgenossen, aber sie stammen oft aus patriarchalischen Gesellschaften und werden in einem Alter nach Deutschland gebracht, in dem sie besonders anfällig für Konflikte mit dem Gesetz sind. Der überwiegende Teil der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ist männlich, was die Problematik zusätzlich verschärft. Viele von ihnen kommen aus Ländern wie Afghanistan, Syrien und der Türkei, wo patriarchale Strukturen das Verhalten und die soziale Interaktion prägen.

Die Notwendigkeit politischen Handelns

Während einige Migranten sich erfolgreich in die Gesellschaft integrieren und von engagierten Betreuern unterstützt werden, bleibt das große Problem der schieren Anzahl an Menschen, die in das ohnehin belastete soziale Netz integriert werden müssen. Die Erfahrung zeigt, dass Integration in großen Zahlen eine Herausforderung darstellt, die nicht allein durch Willkommenskultur gelöst werden kann.

Der Blick nach Skandinavien bietet dabei interessante Lektionen: Schweden, einst ein Magnet für minderjährige Flüchtlinge, hat seine Politik deutlich verschärft und damit den Zustrom drastisch reduziert. Dänemark geht noch weiter und schiebt sogar straffällig gewordene Flüchtlinge nach Syrien ab. Bemerkenswert ist, dass diese harten Entscheidungen in beiden Ländern von sozialdemokratischen Regierungen getroffen wurden, was zeigt, dass politische Lösungen nicht immer entlang der klassischen ideologischen Trennlinien verlaufen.

Deutschland hingegen scheint in der Flüchtlingspolitik auf einem Weg zu bleiben, der auf das Prinzip des Wegschauens setzt. Doch dieser Ansatz birgt erhebliche Risiken. Wenn die Politik nicht bald den Mut zu ehrlichen und wirksamen Lösungen findet, könnte die Unzufriedenheit der Bevölkerung weiter anwachsen – was letztlich radikalen Kräften wie der AfD in die Hände spielen könnte.

Die Entwicklungen am Jungfernstieg sind ein Symptom für ein größeres Problem: Die Balance zwischen einer humanitären Migrationspolitik und der Bewältigung der realen gesellschaftlichen Herausforderungen ist aus dem Gleichgewicht geraten. Nur durch eine ehrliche Auseinandersetzung und entschlossenes Handeln kann verhindert werden, dass der Jungfernstieg und ähnliche Orte dauerhaft zu „Problemzonen“ verkommen.