Vom HSV-Fan zum Cheftrainer? Polzins große Chance

Merlin Polzin bleibt auf jeden Fall bis zur Winterpause HSV-Trainer.
Merlin Polzin bleibt auf jeden Fall bis zur Winterpause HSV-Trainer. Foto: Uli Deck/dpa

Hamburg (dpa) – Von so einem Moment träumt wohl fast jeder Fußball-Fan. Als Jugendlicher stand Merlin Polzin regelmäßig auf der Nordtribüne des Hamburger Volksparkstadions. An diesem Sonntag wird er die Arena beim Heimspiel gegen Darmstadt 98 (13.30 Uhr/Sky) zum ersten Mal als verantwortlicher Trainer des Hamburger SV betreten.

Sportvorstand Stefan Kuntz bestätigte dem 34-Jährigen sogar schon vor dieser Partie, dass er unabhängig vom Ergebnis mindestens bis zur Winterpause HSV-Trainer bleiben wird. Die Gründe: «Die Reaktionen innerhalb der Mannschaft, innerhalb des Vereins, innerhalb der Fanszene.» Dazu die Arbeit auf dem Trainingsplatz und die neue offensive Ausrichtung des HSV. All das ließ Kuntz am Freitag sagen: «Dieses Vertrauen kommt voller Überzeugung!»

Labbadia offenbar aus dem Rennen

Die Trainersuche bei dem ewigen Aufstiegsfavoriten der 2. Fußball-Bundesliga ist damit zwar noch nicht wieder beendet, aber zumindest auf den Kopf gestellt. Noch vor einer Woche und damit kurz nach der Trennung von Steffen Baumgart galt Polzin lediglich als Platzhalter für den favorisierten Bruno Labbadia.

Der 3:1-Sieg beim Karlsruher SC, Polzins emotionale Ansprache und seine taktischen Umstellungen hatten aber eine derart befreiende Wirkung auf die Hamburger Spieler, dass Labbadia nun offenbar aus dem Rennen ist.

Der frühere HSV-Profi Raphael Wicky (zuletzt Young Boys Bern) und der Schwede Henrik Rydström (Malmö FF) gelten im Hintergrund immer noch als Kandidaten. Kuntz schloss am Freitag auch ausdrücklich nicht aus, «dass ich mich weiter mit anderen Trainerkandidaten treffe».

Polzins Popularität

Der Favorit, der sich auch in den nächsten drei Spielen als mögliche Dauerlösung empfehlen kann, heißt jetzt aber Polzin. «Das ist ein Antrieb, der noch mehr pusht für das Wochenende», sagte der gebürtige Hamburger zu seiner großen Chance.

Polzin ist seit 2020 Co-Trainer des HSV. Schon im Februar stieg er für ein Spiel zum Interimscoach auf. Seit der Trennung von Baumgart hat er genau erkannt, welche Ansprache und welcher Spielstil bei Fans wie Spielern ankommen. «Ich habe Bock darauf, das Stadion wieder zu einer Festung zu machen gemeinsam mit der Mannschaft», sagte Polzin. Dieses Pathos bedient er im Gegensatz zu Baumgart sehr gut.

Parallelen zu Kohfeldt

Die Parallelen zu dem Darmstädter Trainer Florian Kohfeldt und seinen Anfängen beim großen HSV-Rivalen Werder Bremen sind unverkennbar. Auch dieser lebenslange Werder-Fan wurde von den Bremern über Jahre als großes Trainertalent aufgebaut. Und als er 2017 vom Interims- zum Chefcoach befördert wurde, hieß der ursprünglich aussichtsreichere Kandidat ebenfalls Labbadia.

Werders Entscheidung zahlte sich damals knapp zwei Jahre lang aus, ehe der sportliche Absturz der Bremer überraschend begann. Beim HSV ist der Zeithorizont aber ein ganz anderer. Ob es nun Polzin wird oder doch noch ein anderer Name – er hat nur einen klaren Auftrag: den Bundesliga-Aufstieg im kommenden Mai.

Seinen steilen Aufstieg von der Fantribüne auf die Trainerbank blendet Polzin für dieses Ziel aus. «Der HSV ist für mich ein sehr besonderer Verein. Aber ich kann meine Rolle definitiv davon trennen», sagte er. «Ich bin hier als Fußball-Trainer angestellt. Während der 90 Minuten habe ich keine Zeit, darüber nachzudenken, was früher einmal war.»